„Crossfire“ von Sylvia Day

IMG_20130113_201033

Früher hat man solche Bücher heimlich unter der Bettdecke gelesen. Seit dem Megahype um „Fifty Shades of Grey“ ist das Lesen von erotischen Liebesromanen nichts, wofür man sich schämen müsste. Im Gegenteil: Wer sich hier auskennt, liegt voll im Trend. Gerade ist der erste Band „Versuchung“ der Erotik-Trilogie Crossfire von Sylvia Day in Deutschland gestartet und klettert schon fleißig die Amazon-Büchercharts hinauf. Ebenso wie „80 Days“ von Vina Jackson oder „Colours of Love“ von Kathryn Tayler wirbt der Verlag offensiv mit dem Sprüchlein „Das neue Shades of Grey“ – und damit die Parallelen auch unmissverständlich klar sind, werden Titel, Cover und Handlung des Originals ganz ungeniert kopiert. Aber sind solche Nachfolge-Bücher lediglich Methadon für Grey-süchtige oder ein echter Ersatz?

Auf jeden Fall sind bei den Shades of Grey-Ablegern endlich mal richtige Profis am Werk. Denn gäbe es eine „Goldene Himbeere“ für schlechten Schreibstil, dann hätte E.L. James die unbeliebte Trophäe sicherlich gewonnen. Weil Shades of Grey als Fan Fiction angelegt war, die die Autorin häppchenweise in Twilight-Fanforen veröffentlichte, fiel erst in der Langversion als Buch auf, dass sich Phrasen und Handlungen hier im Repeat-Modus ständig wiederholen. Fan Fiction ist weniger auf eine dramatische Entwicklung mit einem Anfang- und einem Endpunkt ausgerichtet, sondern wie bei einer Soap Opera auf Endlosigkeit. Ein anständiges Lektorat hätte der guten Frau James definitiv gut getan.

Im Gegensatz dazu handelt es sich bei Sylvia Day (genau wie bei Kathyrn Taylor und dem Autorenduo, das sich hinter dem Pseudonym Vina Jackson verbirgt) um eine „echte“ preisgekrönte Berufsautorin, die im Bereich Romance Fiction bereits viel Erfahrung hat. Und das merkt man einfach. Ihre Ich-Erzählerin, die 24-jährige Blondine Eva Tramell, ist sehr viel komplexer angelegt als Ana Steele. Eva zieht in den Big Apple New York, um dort ihren ersten Job als Assistentin in einer chicen Werbeagentur anzutreten. Begleitet wird sie von ihrem besten Freund Cary, ein bisexuelles Model, das nichts anbrennen lässt und so etwas wie Evas großer Bruder ist. Die beiden kennen sich seit Teenager-Tagen und es wird schnell klar, dass die beiden üble Dinge in ihrer Kindheit mitgemacht haben, die sie zusammenschweißen.

An ihrem ersten Arbeitstag im Crossfire-Buidling stößt Eva mit einem unverschämt gut aussehenden Businessmen mit düsterer Aura zusammen, der sich wenig später als der 27-jährige Gideon Cross herausstellt – einem der reichsten Männer der Welt und begehrtester Junggeselle der Stadt. Aber auch Gideon quälen Dämonen aus seiner Vergangenheit, wie Eva bald feststellen wird. Die beiden sind so etwas wie Seelenverwandte, die einander erkennen, und fühlen sich magisch zueinander hingezogen. Obwohl sowohl Eva als auch Gideon sich auf ihre Karriere konzentrieren wollen und an einer Beziehung kein Interesse haben, verlieben sie sich und versuchen von da an, ihre Beziehung in den Griff zu bekommen.

Das Schöne ist, dass Eva und Gideon weniger auf der Stelle zu treten scheinen als die Shades of Grey-Charaktere. Das liegt auch daran, dass das Machtverhältnis zwischen den beiden weniger klar ist. Eva Tramell  ist erfahrener, temperamentvoller, schlagfertiger und eigensinniger als Ana Steele. Außerdem kommt sie selbst aus gutem Hause und weiß, was finanzielle Unabhängigkeit bedeutet. Dadurch begegnet sie ihrem Verführer Gideon fast auf Augenhöhe. Dominanz- und Unterwerfungsphantasien spielen zwar auch in ihrer Sexualität eine Rolle, sind aber weniger auf Sadomasochismus und inszenierte Rollenspiele ausgelegt. Ich würde sogar sagen, dass dadurch, dass Eva emanzipierter und erfahrener ist, der Sex in „Crossfire“ sehr viel weniger prüde ausfällt als in dem total amerikanisierten Hausfrauen-Porno Shades of Grey (was ziemlich irritierend ist, da E.L. James Britin und Sylvia Day Amerikanerin ist).  Es gibt zum Beispiel nicht so Verniedlichung à la „meine innere Göttin bebte“ und es ist auch nicht ständig nur von Vaginen und Penissen die Rede, die eher an Biologieunterricht in der Schule erinnern.

Jedem – oder besser gesagt – jeder, die Shades of Grey heiß fand, sei Crossfire daher wärmstens ans Herz gelegt.  Der Schreibstil ist souveräner und ausgefeilter, die Figuren runder und komplexer – es wirkt einfach romanhafter bzw. literarischer als das Bauerntheater in Shades of Grey. E.L. James hat mit ihrer Sex-Trilogie Türen geöffnet, durch die jetzt andere Schriftsteller des Genres dankbar und mit höheren Anspruchsdenken hindurchgehen können. Oder wie im Fall von Christina Hobbs und Lauren Billings, die im Februar mit „Beautiful Bastard“ das nächste große Shades of Grey-Ding werden sollen, den Mut finden, auch aus dem Twilight Fan Fiction-Dunstkreis ans große Licht der Weltöffentlichkeit zu treten. Die beiden Mädels, die sich als Schreibduo Christina Lauren nennen, hätten NIE einen Buchvertrag für „Beautiful Bastard“ bekommen, wenn E.L. James nicht die entscheidende Vorarbeit geleistet hätte. Zum Glück waren die beiden so schlau und haben ihre scharfe Büro-Romanze „Beautiful Bastard“, die von 2009 an unter dem Namen „The Office“ über 2 Mio. Online-Leser fand, noch einmal komplett überarbeitet, sodass zu hoffen ist, dass ihr Schreibstil den Intellekt weniger beleidigen wird als das Shades of Grey-Spektakel bzw. -Debakel. Sex beginnt ja bekanntermaßen im Kopf.

Wer noch mehr zum Thema „Crossfire“ und das Erbe von „Shades of Grey“ lesen will, der findet hier meine Buchkritik auf 1LIVE.de 

2 Kommentare zu “„Crossfire“ von Sylvia Day

  1. Sehr schöner Artikel. In einem Punkt muss ich allerdings widersprechen: das Genre „Fanfiction“ ist viel zu breit gefächert, um es derart zu pauschalisieren. Ich schreibe selbst seit ein paar Jahren (ebenfalls zum Thema Twilight, allerdings eher auf das sinnvolle Fortsetzen ausgelegt, anstelle des Umschreibens) und meine Geschichten haben durchaus einen Spannungsbogen, der sowohl Anfang als auch Ende besitzt. Es gibt sicherlich Autoren, die ihre Geschichten anders auslegen, aber die Regel ist es nicht und schon gar nicht charakteristisch für den Fanfiction-Bereich.

    • Danke, liebe Cha, für deinen Hinweis! Du hast natürlich recht: So vielfältig und individuell die Welt der Fan Fiction-Autoren, so vielfältig ist natürlich auch ihr Schreibstil.

Hinterlasse einen Kommentar