„Kapitalismus und Hautkrankheiten“ von Jasmin Ramadan

deep read_Kapitalismus und HautkrankheitenWer sich vor Quaddeln, Flechten, Warzen ekelt, den stellt Kapitalismus und Hautkrankheiten von Jasmin Ramadan auf eine harte Probe. Denn bei Familie Kugler werden Probleme so lange verdrängt, bis die ganze hässliche Seelenbrühe durch die Porenkanäle an die Oberfläche dringt. Da hilft auch keine Creme mehr.

Die Kuglers sind also nicht nur ein Fall für den Dermatologen, sondern vor allem für den Psychodoc! Vater Dietrich schreibt seit zwanzig Jahren in der Dachkammer an seinem Monumentalwerk „Kapitalismus und Hautkrankheiten“, was seiner eigenen stressbedingten Schuppenflechte nicht gerade zuträglich ist. Mutter Bärbel versucht krampfhaft den Schein einer intakten Ehe aufrechtzuerhalten, um ihre Karriere als Grande Dame des deutschen Films nicht zu gefährden, und zwängt sich auch im Alter noch in enge weiße Hosenanzüge unter denen sich alles abzeichnet. Sohn Ture ist ein viel gebuchter Synchronsprecher, war als Kind fett, ist heute ein straight edge Fitnessjunkie, redet lieber mit Insekten als mit Menschen und leidet unter postorgasmischen Depressionen. Während seine modelnde Zwillingsschwester Teresa mit jedem in die Kiste steigt, der sie im Hamburger Nachtleben doof auf ihr schönes Gesicht anquatscht und ihr einen Wodka-Campari ausgibt.

Nach den Gauner-Brüdern Katzanzakis in ihrem Debüt „Soul Kitchen“ und der prolligen Imbissbuden-Dynastie Fehrmann in „Das Schwein unter den Fischen“ (Rezension auf deep read gibt’s hier) widmet sich Jasmin Ramadan in ihrem dritten Roman einer weiteren Spielart des typisch-deutschen Asitums. Denn asozial müssen nicht nur Familien sein, wo die Eltern morgens nicht zur Arbeit und die Kinder nicht in die Schule gehen. Auch da, wo man auf Filmpremieren rennt, sich mit Luxusdüften von Guerlain einnebelt (Bärbel riecht nach Shalimar, Teresa nach Aqua Allegoria Pamplelune – Douglas-Opfer wissen, was das heißt) und sich einen Personaltrainer leisten kann, geht’s zuweilen unzivilisiert zu. Das einzige, was hier kultiviert wirkt, sind die eigenen Neurosen und so beglückwünscht Dietrich seine Tochter, die sich immer wieder einbildet, von einem Schleimfilm bedeckt zu sein, mit den Worten: „du bist etwas Besonderes, mein Engel!“

Auch Bruder Ture assistiert seiner Schwester ein „sehr cleveres Unterbewusstsein“ und dass diese Art von glitschigem Selbstschutz typisch für einen Kugler sei. Damit meint er allerdings den Saftkugler, einen Käfer, der sich bei Gefahr zusammenrollt, ein Sekret absondert und manchmal solange in Schockstarre verharrt, bis er verhungert. Als Teresa bei einem Werbedreh für ein Bodyfluid aber wieder mal einen ihrer Schleimanfälle kriegt und das Set vollkotzt, wird dieser Schutzmechanismus zu einem echten Problem. Ausgerechnet jetzt, wo sie im Rennen für eine große internationale Filmproduktion ist, in der sie quasi sich selbst spielen soll: schräg, heiß, kaputt, auf eine besondere Weise schön, Typ Asia Argento. Um sich optimal auf die Rolle vorzubereiten, rät Ture seiner Schwester, tief nach schmerzhaften Erinnerungen in ihrer Vergangenheit zu graben. Dabei wird Schicht um Schicht eines lange gehütetes Familiengeheimnis frei gelegt, das einiges erklärt.

Zugegeben reizt Jasmin Ramadan das Thema Haut und Psyche wortwörtlich bis zum Erbrechen aus. Das nervt zwischenzeitlich schon ein bisschen. Dennoch sind auch in diesem Roman wieder ein paar großartig durchgeknallte Szenen, Dialoge und Charakterstudien vereint, von denen sich andere Prosaisten eine Schwarte von abschneiden könnten. Ich liebe Ramadans Kompromisslosigkeit, Rotzigkeit, Wahnsinnigkeit. Wenn es nach mir ginge, könnte sie sich die surrealen Momente in ihren Erzählungen klemmen. Ich persönlich brauche keine Schweine, die „Everybody Hurts“ von R.E.M. summen, aber hey – diese Frau mit dem „Mir-doch-scheißegal“-Blick darf alles! Weil sie das hat, was ich bei anderen deutschen Gegenwartsautoren manchmal so sehnlichst vermisse: einen unverwechselbaren Sound. Und dieser Sound klingt kehlig und schrammelig vom vielen Quarzen und hartem Feiern, er polarisiert, weil er mal übersteuert und disharmonisch klingt, aber er ist pure, rohe Energie und zieht mir jedes Mal wieder die Schuhe aus.

In „Kapitalismus und Hautkrankheiten“ spielt die Musik von Patti Smith über CocoRosie bis zu The Strokes eine tragenden Rolle.

Als Hommage an Romanheldin Teresa Kugler soll aber folgender Track meinen persönlichen Soundtrack zum Buch bilden.

 

 

 

4 Kommentare zu “„Kapitalismus und Hautkrankheiten“ von Jasmin Ramadan

    • Oh supi, Mara, da bin ich ja jetzt schon gespannt auf deine Eindrücke! Und bin ich sehr happy, dass meine Rezension dich nicht verschreckt hat 😉

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