„Moshi Moshi“ von Banana Yoshimoto

deep read_Moshi MoshiMittlerweile freue ich mich auf druckfrischen Lesestoff von Banana Yoshimoto so wie andere auf den neuen Haruki Murakami. Und das, obwohl die Japanerin eigentlich immer über dasselbe schreibt: Junge Menschen in Tokyo, die vom Schicksal richtig krass auf die Mappe kriegen, aber statt rumzuheulen (okay, ein bisschen heulen sie schon) sich wieder aufrappeln. Das gilt auch für den neuen Roman Moshi Moshi. Trotzdem sind Yoshimotos Geschichten immer anders und nie, nie, wirklich nie langweilig!

Yotchan ist 22 Jahre alt, als ihr Vater in einem Waldstück Selbstmord begeht. Völlig unerwartet und dann auch noch mit einer fremden Frau zusammen. Eine Art Groupie, denn der Vater war ein bekannter Rockmusiker. Yotchan ist überzeugt, dass er nicht freiwillig aus dem Leben ging, sondern von der Frau in den Tod mitgerissen wurde. Wie es ist, wenn eine einzige Person mit dem Wunsch zu Sterben den Tod anderer billigend in Kauf nimmt, mussten wir gerade erst aus den Nachrichten erfahren. Nachts quälen Yotchan Alpträume, in denen ihr Vater versucht sie anzurufen, um ihr etwas Wichtiges zu sagen. Daher auch der für deutsche Ohren irgendwie niedlich klingende Titel „Moshi Moshi“ – eine Begrüßungsformel, die man in Japan am Telefon benutzt.

So düster und „The Ring“-mäßig das jetzt klingen mag, ist der Roman aber nicht die Bohne. „Moshi Moshi“ ist ein positives Bekenntnis zum Leben! Nicht verdrängen, sondern aufarbeiten, lautet die Devise. Yotchan ist klar, dass sie sich von den Geistern der Vergangenheit lösen muss. Wie genau sie das anstellen soll, muss sie selbst noch herausfinden – und davon erzählt der Roman. Es ist beinahe seltsam im Zusammenhang mit einem Buch, das in gewisser Weise von Trauerbewältigung handelt, von Spaß zu reden, aber ja: Es ist eine helle Freude Yotchan dabei zu begleiten, wie sie zurück in den Alltag und zu sich selbst findet. Weil sie einfach jemand ist, der sein Leben selbst in die Hand nimmt und gleichzeitig die Dinge, auf die man eh keinen Einfluss hat, akzeptiert wie sie sind. Das ist vielleicht sehr japanisch, auf jeden Fall ist es sehr schön.

„Anstatt uns über dies und jenes den Kopf zu zerbrechen und zu versuchen, das Ganze zu begreifen, war es besser, jeden Tag auf unsere Weise an diesem Leben weiterzuweben.“

So zieht Yotchan zunächst einmal nach Shimokita, einem angesagten Künstlerviertel in Tokyo, und beginnt in einem Bistro zu kellnern. Sie will sich neu erfinden, auf eigenen Beinen stehen. Bis eines Tages ihre Mutter auf der Matte steht und beschließt, dass sie es in der alten Wohnung kaum noch aushält und zu ihrer Tochter ziehen will. Yotchan und ihre Mutter müssen sich neu arrangieren und lernen dabei ganz neue Seiten aneinander kennen. Was man bei Yoshimoto immer wieder lernt: Kommunikation ist alles. Die Gespräche, die die Figuren miteinander führen, sind ehrlich, direkt, emotional und respektvoll. Es ist so simpel, wenn man nur den Mund aufmacht! Ein gutes Gespräch tut so gut wie eine vollwertige Mahlzeit.

Vielleicht ist Banana Yoshimoto auch deshalb so erfolgreich: Weil sie auch immer ein bisschen Lebenshilfe bietet. Für mich ist das Lesen ihrer Bücher vor allem ein wenig wie Meditieren. Ich lese die ersten Sätze und werde ganz ruhig. Ich gleite auf einem Erzählstrom dahin – es gibt keine poetischen Schnörkel oder effekthascherischen Stürze. Alles fließt auf knappen 300 Seiten konzentriert auf ein Ziel zu. Denn das Leben ist zu kurz, um sich von Negativem oder Überflüssigem ablenken zu lassen. Ein Mantra aus dem Buch, das irgendwie hängen geblieben ist, weil es so wahr ist:

„Vage, unausstehlich, zögerlich, übelwollend – die Menschen verhielten sich, wie es ihnen gerade in den Kram passte. Warum auch nicht? Sollten sie doch! Kein Grund, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.“

Weitere lesenswerte Beiträge zu „Moshi Moshi“ findet ihr bei der Klappentexterin und masuko13

19 Kommentare zu “„Moshi Moshi“ von Banana Yoshimoto

  1. Liebe Karo, ging es dir nicht auch so, dass du am liebsten sofort durch die Straßen von Shimokita schlendern wolltest?
    Ich mochte „Moshi, Moshi“ so sehr und finde, du hast auf ganz besondere Weise den Charme des Romans in deinen Text mit einfließen lassen. Sodass ich beim Lesen wieder die harmonische Erzählstimme von Yoshimoto spüren konnte 🙂
    Schöne Grüße, masuko

    • Oh ja, der fast dörfliche und zugleich kosmpolitische Charme von Shimokita hats mir auch angetan. Eine kleine Miniwelt für sich! Alles ist so plastisch dargestellt: Der Kirschblütenbaum, der Geruch von Regen auf dem Asphalt, die Inneneinrichtung der Cafés – eine echte Liebeserklärung an die Orte, die uns prägen.

  2. Ich habe bisher erst einen Roman von Banana Yoshimoto gelesen, mit dem ich irgendwie nicht so ganz warm werden konnte, da er mir zu esoterisch angehaucht war. Vielleicht sollte ich doch noch einmal einen zweiten Versuch mit ihren Büchern wagen.

    • Ui, weißt du denn noch, welches Buch das war? Klar, in manchen Büchern von Banana Yoshimoto gibt es Geistererscheinungen und symbolische Träume – aber die gibts ja im magischen Realismus auch 😉 Und bezogen auf die fernöstliche Kultur gilt der Totenkult, glaub ich, als total normal und alltäglich. „Esoterisch“ klingt so nach Räucherstäbchen 😀 Die Japaner sind halt spirituelle Menschen … aber in „Moshi Moshi“ passiert nichts wirklich Übersinnliches, kann ich dich beruhigen! Ganz liebe Grüße

      • Ich habe damals ihren Roman „In der Nacht“ gelesen und hatte doch Schwierigkeiten mit den magischen Elementen und diesem Hauch von Übersinnlichkeit. Vielleicht sollte ich es noch mal mit „Moshi Moshi“ versuchen, diesmal hoffentlich ganz ohne Räucherstäbchen. 🙂

      • Witzig, hab ich mir fast gedacht! Das Buch war echt ein bisschen strange … vor allem das Ende. Bitte, bitte lies „Moshi Moshi“ – das ist wirklich das beste Buch, das ich bisher von Yoshimoto gelesen habe!

  3. Ich wollte schon begeistert „Hier!“ rufen, „will ich lesen!“ – doch dann stieß ich in Maras Kommentar auf das Reizwort „esoterisch“. Jetzt bin ich verstummt und warte lieber still und geduldig auf die beiden verschollenen Murakami-Romane, die im Mai herausgekommen.

    • Aaah, das schreckliche e-Wort 🙂 Dabei bin ich sicher: Wer Murakami liebt, liebt auch Yoshimoto. Genauso pragmatisch, schnörkellos und unaufgeregt. Punkt.

      • Ja, warum sagt Mara so etwas auch immer? Ich werde es dank Deiner Besprechung aber trotzdem gerne mal testen. Bin schon länger auf der Suche nach einem literarischen Zweit-Japaner, wenn es eine Frau ist, um so besser. Im Herbst kommt auch noch ein neuer Japaner bei Diogenes raus.

  4. Liebe Karo, schöner kann eine neue Woche gar nicht beginnen als mit einer Rezension von dir und mit der wunderbaren Banana Yoshimoto. Ich kann von ihren Büchern ebenso nie genug bekommen. Auch für mich haben ihre Bücher etwas sehr Meditatives. Meditation für die Augen, so hab ich es, glaube ich, mal beschrieben. Insofern freue ich mich schon sehr auf dieses hier, das ich nun – auch dank deiner Besprechung – ganz bald lesen möchte. Lesen, erden, durchatmen. Es könnte mein Osterbuch werden – der Gedanke kommt mir gerade. Schön!

    Sei herzlich gegrüßt
    Klappentexterin

    • Hach, liebe Klappentexterin, deine Kommentare sind schöner als ein Strauß Blumen 🙂 Wenn wir beide bei Yoshimoto-Büchern ans Meditieren denken, dann ist da ja wohl was dran 😉

  5. Pingback: Banana Yoshimoto. Moshi, Moshi | masuko13

    • Liebe Biance, freut mich, dass du den Weg auf meinen Blog gefunden hast und dir meine Buchrezension zu „Moshi Moshi“ gefallen hat. Die Investition lohnt sich 😉 Herzlich, Karo

  6. Liebe Karo,
    hach, diese wunderbaren japanischen Geschichten… Wenn uns die Welt um uns herum zu viel wird, sollten wir die Gardinen zu ziehen und Murakami oder Yoshimoto lesen, finde ich. Von Banana Yoshimoto habe ich leider bislang nur „Kitchen“ und noch einen kürzeren Roman gelesen, der sich viel auf einer Brücke abspielt. Mit Esoterik haben die nicht wirklich etwas zu tun, dafür aber gibt es Yoshimotos Büchern immer einen Hauch von Magie und einen Hang zur Melancholie. Diese gewisse Magie haftet – danach klingt zumindest deine Rezension – auch an „Moshi Moshi“, weswegen ich gerade richtig Lust auf dieses Buch bekomme.

    Liebe Grüße und lese weiter tief;)

    „Wie alt war ich wohl,
    als mir klar wurde,
    dass ich diesen finsteren
    und einsamen Bergpfad
    nur mit dem Licht
    erhellen konnte,
    das aus mir selbst kam?“

    (aus „Kitchen“)

  7. Pingback: Der tiefe Frieden aus den Worten von Banana Yoshimoto. | Klappentexterin

  8. Jetzt habe ich ja gleich noch ein Buch mehr auf meiner Wunschliste.
    Nicht nur, weil ich mich für Japan interessiere, sondern auch, weil du mich wirklich von diesem Buch und der Geschichte überzeugt hast.
    Danke schon jetzt für den Tipp 🙂

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